Wer Rüben mit Traktor und Wagen in die Zuckerfabrik fährt, kennt das Prozedere bei der Rübenannahme: Zuerst auf die Waage fahren, dann mit dem Stechkran eine Rübenprobe aus dem Wagen stechen. Dann können die Rüben aus den Wagen gespült werden. Was genau mit der Rübenprobe anschliessend passiert, wissen nicht alle Pflanzer. Dabei entscheidet dieser Vorgang darüber wie der Landwirt für seine Zuckerrüben bezahlt wird. Wir haben dem Gruppenleiter der Rübenannahme, Martin Rüfenacht, über die Schulter geschaut.
Nach dem Stich in den Rübenwagen landet die Rübenprobe in der Bruttowaage. Das Gewicht pro Stich muss 25 bis 35 Kilo betragen. Die Beprobung der Bahnwagen läuft übrigens genau gleich ab. Ist die Zugkomposition einmal am richtigen Ort platziert, läuft die Probenahme automatisch ab.
Der Zug wird mittels Seil vorwärts gezogen und der Stecher entnimmt selbständig mit Hilfe von Sensoren zwei Mal in jedem Wagen eine Probe. Für Martin Rüfenacht sind die Rübenproben auf dem Bildschirm als Nummern aufgelistet. Er sieht also keine Produzentennamen.
Fabrik bezahlt nur Rüben
Nach der Bruttowaage landet die Rübenprobe in einer Waschmaschine, wo sie 45 Sekunden lang gewaschen wird. Anschliessend läuft die Probe über ein Förderband, wo ein Mitarbeiter Steine, Erdklümpchen und Blätter entfernt. Bei ungenügend geköpften Rüben werden diese nach genauer Anleitung nachgeköpft. Denn der Krautansatz der Rübe liefert keinen Zucker und ist somit für die Fabrik wertlos. Sie bezahlt die Pflanzer also nicht für dieses Gewicht.
Die fertig gereinigte Probe wird dann in der Nettowaage erneut gewogen und die Differenz zum Bruttogewicht wird dem Pflanzer auf der gesamten Rübenlieferung abgezogen. Dies seien im Moment (Anfang Dezember 2020) rund 8 bis 9 Prozent Gewichtsabzug im Schnitt, weiss Martin Rüfenacht, der gelernter Maschinenschlosser ist und auch ausserhalb der Kampagne in der Zuckerfabrik arbeitet.
Martin Rüfenacht hat alle Prozesse der Rübenannahme auf seinem Bildschirm im Blick.
Aus Brei wird klare Flüssigkeit
Eine Fräse verarbeitet die gewaschenen Rüben anschliessend während 45 Sekunden zu einem Brei, der farblich aussieht wie Vermicelles. Der Brei landet in einem Metall-Kübel, wo ihn ein Schwingbesen vollautomatisch kurz durchrührt. Auf einem Förderband fährt der Kübel weiter, bis zu einem Roboter-Löffel, der selbständig 21 bis 31 Gramm Brei entnimmt und in einen kleinen Metall-Zylinder kippt. Nach einem genau vorgegebenen Verhältnis wird Aluminiumsulfat zum Brei dosiert.
Die braune Flüssigkeit wird nun kontinuierlich gerührt, dann mit einem Filterhilfsmittel versetzt und schliesslich auf ein Filterpapier gekippt. Mittels Vakuum wird die Flüssigkeit durch den Filter gesogen, wo sie unten klar gefiltert herausfliesst. Dieser Saft muss so rein sein, dass keine Partikel die stecknadeldünnen Schläuche des Analysegeräts verstopfen. Im Analysegerät werden nun selbständig die vier Parameter Aminostickstoff, Natrium, Kalium und Zuckergehalt bestimmt. Die ersten drei Werte sind entscheidend dafür, wieviel Zucker aus den Rüben gewonnen werden kann (Ausbeute).
Methodenkatalog regelt Spezialfälle
Alle diese Schritte laufen vollautomatisch ab. Martin Rüfenacht sagt lachend: „Wenn alles rund läuft, ist es fast langweilig hier.“ Zu den geplanten Arbeiten des Rübenannahme-Teams gehören etwa die Kalibrierung der Anlage immer nach 150 Proben, die Reinigung der Anlage einmal pro Tag und das Auswechseln der Schläuche einmal pro Woche. Gibt es allerdings Pannen, wird die Arbeit von Rüfenacht schnell heikel.
Für die Pflanzer hängt viel von der korrekten Beprobung ihrer Rüben ab. Deshalb gibt es für jedes erdenkliche Pannen-Szenario eine klar geregelte Lösung, die zwischen Fabrik und Pflanzern in einem Methodenkatalog abgemacht ist. Funktioniert der Stecher nicht, wird abgesackt. Streikt das Analysegerät, werden die Brei-Proben eingefroren.
Geht im schlimmsten Fall eine Probe verloren (Schlauch kaputt, Waage verstopft,…), dann kann es sein, dass der Pflanzer mit dem Tagesschnitt seiner Rübenanlieferungen entschädigt wird. Darüber entscheidet das Rübenbüro.
11: Das Analysegerät misst Zuckergehalt, Aminostickstoff, Natrium und Kalium-Gehalt der Rübenprobe
12: Täglich werden rund 10‘000 Tonnen Rüben angeliefert. Im Rübensilo können bis zu 13‘000 Tonnen gelagert werden.
Pflanzer kontrollieren Anlage
Trotz aller Vorkehrungen, die Rübenannahme so „sicher“ wie möglich zu machen, gibt es immer wieder Reklamationen von Pflanzern, die mit den Resultaten ihrer Rübenanalyse nicht einverstanden sind.
„Diese werden vom Rübenbüro und der Annahmekommission der Pflanzervereinigung beurteilt“, erklärt Rüfenacht. Damit die Zuckerfabrik nicht die ganze Rübenannahme alleine beherrscht, kontrolliert übrigens einmal pro Woche ein Gesandter der Annahmekommission unangemeldet die ganze Anlage der Rübenannahme. Ein bis zwei Mal pro Kampagne testet die Annahmekommission das Analysegerät mit einer eigenen Kalibrierflüssigkeit.
Es werden ebenfalls Breiproben mit der Zuckerfabrik Frauenfeld ausgetauscht um sicher zu stellen, dass die Pflanzer in der Ost- und in der Westschweiz gleich behandelt werden. Die Bemühungen, dass zwischen Pflanzern und Fabrik ein Vertrauens- und nicht ein Misstrauensverhältnis herrschen soll, sind also gross.