Vision Landwirtschaft will pestizidfreie und wirtschaftliche Zuckerrübe



Mit der Zukunft des Zuckerrübenanbaus in der Schweiz befasst sich aktuell eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Verbandes der Zuckerrübenpflanzer (SVZ). Ursprünglich war die Gruppe vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ins Leben gerufen worden, um gemeinsam über die Anträge der Pflanzer für eine Notzulassung von Gaucho und anderen Insektiziden zu diskutieren. Vertreten in der Gruppe sind das BLW, Agroscope, die Zuckerrübenfachstelle, Pro Natura, Vision Landwirtschaft, die Zuckerindustrie und der SVZ Der Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, Andreas Bosshard, äussert sich im Interview dazu, wie Zuckerrüben künftig wirtschaftlich und ohne chemische Pflanzenschutzmittel angebaut werden sollen.

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Für welche Rahmenbedingungen setzt sich Vision Landwirtschaft im Zuckerrübenanbau konkret ein?

Andreas Bosshard: Wir setzen uns generell für einen Ausstieg der Schweizer Landwirtschaft aus der Pestizidwirtschaft ein. Warum dieses Ziel realistisch und für die Schweizer Landwirtschaft unumgänglich ist, haben wir ausführlich im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz begründet, den zwei Dutzend Organisationen aus der Land- und Ernährungswirtschaft sowie aus Umwelt- und Konsumentenkreisen mittragen.

Bei immer mehr Kulturen werden derzeit konkrete Diskussionen geführt, wie dieser Pestizidausstieg gelingen kann. So auch bei den Zuckerrüben. Dabei ist für Vision Landwirtschaft klar, dass ein solcher Ausstieg wirtschaftlich tragbar oder noch besser: attraktiv sein muss für die Produzenten. 

Mit welchem Rübenertrag rechnen Sie ohne den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln?

Nicht bei allen Kulturen geht der Ertrag bei einem Verzicht auf Pestizide zurück, aber bei den Zuckerrüben ist das so. Wir rechnen in den ersten Jahren der Umstellung, solange die Erfahrungen und die geeigneten Sorten noch fehlen, gemäss verfügbaren Zahlen mit substanziellen Ertragsrückgängen von 20 bis 40%.

Das ist so wie die ersten Elektroautos. Die waren über Jahre kaum schneller unterwegs als Fahrräder. Das war nicht sehr attraktiv. Dennoch hat es diese Entwicklungsphase gebraucht. Heute fährt der Tesla oder der Elektro-BMW allen konventionellen Autos mit Verbrennungsmotoren davon. Bei den Zuckerrüben dürfte es nicht gerade so weit kommen, aber auch die Zuckerrübenerträge werden sich auf einem guten, wirtschaftlichen Niveau stabilisieren, wenn wir die pestizidfreie Produktion erst einmal beherrschen.

Welcher Rübenpreis muss dafür angestrebt werden?

Für Vision Landwirtschaft ist klar, dass der Markt derzeit keinen viel höheren Preis hergibt. Das bedeutet definitionsgemäss: Pestizidfreier Anbau ist eine nicht-marktfähige gemeinwirtschaftliche Leistung der Produzenten. Und diese Leistung muss gemäss Bundesverfassung Art. 104 aus dem Agrarbudget des Bundes entschädigt werden.

Schon jetzt gehören die Zuckerrüben dank dem Einsatz der Branche zu den ersten Kulturen, wo ein pestizidreduzierter oder pestizidfreier Anbau mit substanziellen Bundesbeiträgen unterstützt wird. Doch diese Anreize genügen noch nicht. Wir fordern höhere Beiträge, während diejenigen für den konventionellen Anbau, der bei den Zuckerrüben für die Umwelt besonders schädlich ist, gesenkt werden müssen.

Dieser Vorschlag von Vision Landwirtschaft wurde von der parlamentarischen Kommission, die dazu einen Gesetzesvorschlag ausgearbeitet hat, aufgenommen (siehe Kasten unten). Wir hoffen sehr, dass er die Vernehmlassung so passiert. Gemäss intensiven Gesprächen, die wir mit der Branche geführt haben, steht ihre Führung grundsätzlich hinter diesem Vorschlag. Nur der Bauernverband legt sich quer, wie er das leider bei fast allen Bemühungen, die Landwirtschaft nachhaltiger und zukunftsfähig zu machen, praktiziert.

Die Mehrkosten für einen Zuckerrübenanbau ohne chemische Pflanzenschutzmittel soll also der Staat bezahlen?

Genau. Wir haben in der Schweiz ein Agrarbudget, das preisbereinigt pro Kultur bzw. pro Fläche mindestens 5 Mal so hoch ist wie im umliegenden Ausland. Dabei wird der Grossteil der Zahlungen nicht zielgerichtet eingesetzt, sondern im Widerspruch zum Verfassungsauftrag pauschal und teilweise mit Wirkungen, die eine nachhaltige Landwirtschaft behindern verteilt. Diese Gelder, zu denen beispielsweise der grösste Teil der Versorgungssicherheitsbeiträge mit jährlich fast einer Milliarde Franken gehört, müssen umgelagert werden in solche verfassungskonformen Anreize, welche die Schweizer Landwirtschaft nachhaltiger machen und sie so vom Ausland differenzieren. Da ist also mehr als genügend Geld da.

Wenn die Schweiz als erstes Land pestizidfreien, nachhaltig produzierten Zucker anbietet, dann ist das mit Sicherheit ein Vorteil auf dem freien Markt, der dann mit geschicktem Marketing auch wirtschaftlich für die Produzenten ausgelobt werden muss. Dies ist die einzige nachhaltige Strategie, mit der wir den teilweise extrem tiefen Preisen auf dem Weltmarkt etwas entgegenhalten und davon unabhängiger werden können. 

Bis wann soll ein solcher Zuckerrübenanbau umgesetzt werden?

Bis in 10 Jahren.

Wie hoch wird die Schweizer Zuckerproduktion mit ihrem angestrebten Modell in Zukunft noch sein?

Wir sollten dafür sorgen, dass eine der zwei Fabriken in Zukunft gut ausgelastet ist. Zwei Fabriken können wir uns aus Gründen der Ökonomie, der Ernährungssicherheit und der Ökologie nicht leisten, da sind sich mittlerweile fast alle unabhängigen Kreise einig.

Welche Rolle spielt die Züchtung in dieser Vision?

Eine zentrale Rolle, aber bei weitem nicht die einzige. Ebenso wichtig sind die ganzen Kulturmassnahmen, aber auch das ökologische Umfeld, das derzeit so stark beeinträchtigt ist, dass die Schädlinge viel zu leichtes Spiel haben. Wenn wir wieder eine intakte Kulturlandschaft bereitstellen, in denen auch Nützlinge und Biodiversität eine Chance haben, dann werden die Voraussetzungen für einen pestizidfreien Anbau massiv besser sein als heute. Das zeigen immer mehr Studien.

Wie ist Ihre Haltung zum Thema Zuckerimport?

Diese Frage macht isoliert keinen Sinn. Die Schweiz könnte bei Reduktion ihres viel zu hohen, sehr boden- und ressourcenintensiven Fleischkonsums und bei einer substanziellen Reduktion des immensen Foodwastes die eigene Bevölkerung aus dem eigenen Boden selberernähren. Solange unser Ernährungssystem aber dermassen ineffizient ist, müssen wir viele Nahrungsmittel importieren.

Die Frage ist  unter diesen Voraussetzungen, was wir auf unseren Böden und unter unseren klimatischen Bedingungen, aber auch im Hinblick auf die Ernährungssicherheit am besten in der Schweiz anbauen, und was wir besser importieren. Unter diesem Gesichtspunkt macht es unserer Meinung nach klar Sinn, auch in Zukunft Zuckerrüben anzubauen in der Schweiz. Aber die derzeitige Produktion ist zu hoch, auf einem Teil der Flächen macht es unter den genannten Gesichtspunkten mehr Sinn, andere Kulturen anzubauen und so andere Importe zu ersetzen.

Was entgegnen Sie einem Rübepflanzer, der sagt mit den neuen Krankheiten Viröse Vergilbung, SBR, und der Schädlingsproblematik sei kein wirtschaftlicher Rübenanbau ohne chemische Pflanzenschutzmittel möglich?

Dass das wirtschaftlich nicht möglich sei, wurde gegenüber den Elektroautos, gegenüber den Solarzellen, gegenüber der Windernergie, gegenüber Plusenergiehäusern etc. auch Jahrzehntelang behauptet. Heute sind all diese Dinge Realität und wirtschaftlich längst günstiger als die meisten alten, umweltschädlichen Produktionsformen. Das wird auch bei den pestizidfreien, nachhaltigen Anbauformen in der Landwirtschaft so sein.

Für die meisten Menschen ist es schwierig, die Zeichen der Zeit rechtzeitig zu erkennen und Visionen zielgerichtet umzusetzen, die unumkehrbare Trends rechtzeitig aufnehmen. Oft können wir uns leider nur vorstellen, was im Moment gegeben ist, und sind überzeugt, es werde ewig so bleiben. Unternehmer, die so denken, gehören zu den Verlierern. Wir sind überzeugt, die Zuckerrübenbranche gehört nicht dazu.


Bildquelle: Vision Landwirtschaft


9 Kommentare “Vision Landwirtschaft will pestizidfreie und wirtschaftliche Zuckerrübe

  1. Also wenn ich Herrn Bosshard richtig interpretiere und die Ertragseinbussen bei den Bio ZR über die Jahre wirklich nur 40% ausmachen, dann müssten wir die momentane Anbaufläche von 16’000 Hektaren in der Schweiz beibehalten um eine Zuckerfabrik in Zukunft am Leben zu erhalten. Glaubt Herr Bosshard allen Ernstes, dass die Schweizer Ackerbauern bis in 10 Jahren 16’000 Hektaren unter Biobedingungen anbauen ? Weichen jedoch 10 – 20% der Rübenpflanzer auf andere Kulturen oder BFF aus, so fehlt der einzigen Zuckerfabrik in der Schweiz die Auslastung und wird mangels Wirtschaftlichkeit ebenfalls schliessen müssen. Die Folge davon wären dann 0 Hektaren Biozuckerrüben in der Schweiz.

    • Vielleicht wissen wir in 10 Jahren mehr über nachhaltigen Zuckerrübenbau als wir heute denken. In Europa sind sich die Fachleute grösstenteils soweit einig, dass u.a. Pflanzenschutzmittel reduziert werden müssen, um die Biodiversität zu erhalten z.B. in der Debatte von la coopération agricole http://www.lacooperationagricole.coop/fr/actualites/economie-zen-quelle-equation-pour-la-chaine-alimentaire-replay. Die Frage ist, wie gelangen wir dahin? Interessant fine ich eben, dass Herr Bosshard auch vom Einkommen der Bauern spricht.

      • Gaucho zur Saat ist Stand heute ein Muss. Hier könnte man mit wenig Wirkstoff sehr viel erreichen und wenn uns Ronald endlich mal Cerco resistente Sorten auf den Markt bringt können wir die Blattbehandlungen einsparen. Hacken ist möglich und mit zunehmender Digitalisierung und verbesserten GPS gesteuerten Geräten wohl die Zukunft.
        Nichtsdestotrotz wird es Red Bull, der 25% des Schweizer Zuckers aufkauft und mit dem Export in Nicht EU Länder noch zusätzlich die Zollkasse leert, egal sein wie genau der Zucker produziert wurde. Hauptsache die Schweizer Zucker AG liefert pünktlich und nicht viel teurer als in der EU..

        • Das Gauchoverbot in Zuckerrüben dürfte unter dem Strich zumindest kurzfristig ein ökologischer Rückschritt darstellen. Das Verbot und vor allem die Ablehnung einer zeitlich beschränkten Notfallzulassung kam offenbar unter dem Eindruck der politischen Dringlichkeit, den PSM-Einsatz zu beschränken, zustande. Bezüglich Cercospora gibt es eine laufende Verbesserung in der Toleranz der Sorten. Das zeigen die jeweiligen Neuzulassungen deutlich. Züchterisch bleibt Cercospora eine grosse Herausforderung, denn die Cercoporatoleranz der Zuckerrübe ist auf mehreren Genabschnitten des Erbgutes codiert, was das Risiko für die Mitnahme von negativen Eigenschaften bei jedem Züchtungschritt erhöht.

  2. Herr Bosshard sagt, dass die Probleme der Elektroautos gelöst sind und man sich vor 10 Jahren das sich auch nicht habe vorstellen können.
    Es ist aber die saubere Beschaffung der Rohstoffe zur Herstellung der Batterien, noch deren Entsorgung wirklich gelöst. Und dabei sind die Fahrer wie die Hersteller der Elektroautos nicht von den Täglichen Wetterkapriolen abhängig, die immer wieder ganz neue Herausforderungen schaffen.

  3. Ich frage mich warum Herr Bosshard und seine Freunde soviel Aufwand betreiben, um uns Produzierende Landwirte zu bekehren?

    Konsumenten müssen erst finanziell bereit sein mehr Bioprodukte zukaufen, und zwar zu einem Preis der Produktionskosten deckt, und nicht mit Bundesgelder finanziert wird. Biobetriebe erhalten jährlich ca.1/3 mehr Direktzahlungen.
    Da Herr Bosshard ja selbst auch an einem landwirtschaftlichen Betrieb beteiligt ist, sollte er einmal offenlegen welchen Prozentsatz der Betriebseinnahmen von den öffentlichen Gelder sind.
    Aus meiner Sicht muss ein Zukunftsbetrieb vom Ertrag der Produkte Leben können und nicht von Gelder einer Emotionaler Politik.

    Noch besser als der elektroverkehr währe wenn sich die Bevölkerung intelligenter auf der Erde bewegen würde.
    Denn die Kehrseite des umweltschonenden Verkehrs kommt Schneller ans Licht als CO2 Zertifikate verkauft werden.

  4. Lieber Martin, lieber Kollege Büchler

    Ist es sinnvoll und bringt es die Landwirtschaft weiter, wenn „wir Produzenten“ uns gegenseitig anrempeln?

    Ich habe doch niemanden von Euch angegriffen oder bekehren wollen, sondern habe nur aufgezeigt, dass wir uns vermutlich bewegen müssen, um die unbestrittenen Probleme zu lösen, und dass bei den Lösungen viel mehr möglich ist als sich viele von uns das vorstellen können.

    Für jedes und alles gibt es Gründe, etwas nicht zu verbessern und nichts zu verändern. Martin hat grad alle Gründe auf einmal aufgelistet. Wenn Ihr lieber weiter macht wie bisher und auch in 10 Jahren noch gleich wie heute Zuckerrüben produzieren wollt, will Euch niemand bekehren, das ist Euer Entscheid. Ob das ein unternehmerischer und sinnvoller ist wage ich zu bezweifeln. Die letzten beissen normalerweise die Hunde. Ich selber will lieber vorne mit dabei sein und einen Beitrag zur Lösungssuche leisten.

    Herzliche Grüsse
    Andreas Bosshard

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